Ende einer Reise
Roman, Mitteldeutscher Verlag, Halle 2012 (205 S. Brosch. , 2. Aufl.)
Inhalt
Hiddensee. Ende der Achtzigerjahre. Es soll ein Kurzurlaub auf der idyllischen Ostseeinsel werden. Doch die Reise auf den Spuren des Nobelpreisträgers Gerhart Hauptmann wird für drei junge Leute zur Odyssee durch den real existierenden Inselsozialismus.
Die Staatsmacht in Gestalt des Abschnittsbevollmächtigten und eines eifrigen, zivilen Ordnungshüter und Anstoß an den verdächtigen Personaldokumenten der Berliner Besucher. Folgerichtig werden die vermeintlichen Gesetzesbrecher festgesetzt. Doch was sich als selbstverständlicher Akt behördlichen Vorgehens versteht, erweist sich zunehmend als Problem.
Das groteske Spektakel aus dem DDR-Absurdistan fußt auf einer authentischen Geschichte. Eine spannende Urlaubslektüre und mehr …
Rezensionen
MDR: „ Ende einer Reise ist eine empfehlsame Urlaubslektüre über einen Nichturlaub mit überraschendem Ausgang.
Lausitzer Rundschau: Apelt ist der geborene Geschichtenerzähler.
Sächsische Zeitung: schwungvoll, einfallsreich, mit bewundernswerter Beobachtungsgabe erzählt Andreas Apelt, eine authentische Geschichte dreier Berliner Jugendlicher.
Der Medienbrief: Eine spannende Lektüre, die zeigt, wozu es kommt, wenn eine Behörde, um der Sicherheit willen, in Turbulenzen Tempo aufnimmt.
Thüringer Landeszeitung: Apelt… Gelingt es…, den Leser auf 200 Seiten in Spannung zu halten.
Superillu: groteske Spektakel, dass auf authentischer story basiert.
Sächsische Zeitung: Der Roman macht neugierig auf den Autor wie auf seine weiteren Bücher.
MDR: Der Leser wird Zaungast einer Realgroteske. Mit seiner Erzählergabe… gelingt es Apelt die Leser auf 200 Seiten in Spannung zu halten…
Freie Presse: Andreas H. Apelt erzählt vom ganz normalen Wahnsinn der DDR - und nimmt Anleihen bei Franz Kafka.
Thüringer Landeszeitung: Ende einer Reise ist eine zu empfehlende Urlaubslektüre über einen Nichturlaub mit überraschendem Ausgang.
Leseprobe
Im Dünenhaus herrschte Hochbetrieb. Gutgekleidete, meist junge Menschen drängten in die Gaststube und von dort durch eine große Flügeltür in den dahinter befindlichen Saal. Fröhliche Gesichter füllten die Räume und sammelten sich unter großen Qualmwolken am Tresen.
Die Musik einer Vier-Mann-Kapelle quoll lärmend aus den geöffneten Saalfenstern die Dorfstraße hinauf.
Einige junge Männer standen neben der gut dreißig Meter langen Schlange vor dem Eingang und rauchten. Sie hatten gefüllte Biergläser in den Händen, die sie von Zeit zu Zeit aneinander schlugen, sodass es laut klirrte.
Die ganze Szene hatte etwas Vertrautes und erinnerte mich an die Zeit meiner Kindheit und frühen Jugend. Nicht anders funktionierte die heile Welt in unserem Dorf, und immer, wenn ich später alte Heimatfilme sah, fühlte ich mich an die Zeit erinnert, die mit zunehmendem Abstand zur Vergangenheit noch verklärter wurde, als sie ohnehin schon war. Vielleicht, so dachte ich später, war gerade der Wunsch nach dieser heilen, wenn auch verlogenen Welt die Ursache meines bis heute gebliebenen Verlangens nach diesen alten Filmen, die oft jeden Inhalts entbehrten.
Als wir uns in Begleitung von Unterleutnant Schmidt und des blonden Mannes, der einigen Abstand zu uns hielt, der Gruppe junger Männer näherten, verstummten die Gespräche. Die Männer nippten an den Gläsern und nahmen große Züge von ihren Zigaretten.
Der Einlasser, ein klobiger Fischerbursche mit dicken Wurstfingern und einem stiernackigen Hals wusste Bescheid. Dahinten, der Tisch, sagte er und zeigte mit einem der Wurstfinger auf einen einzelnen Ecktisch, der ohne Gäste geblieben war.
Gut gut, antwortete Schmidt und drängte zur Eile.
Wir schlüpften an der Schlange geduldig wartender Menschen vorbei in die Gaststube, gefolgt von den mürrischen Blicken der Umstehenden. Weder das Zustecken eines Scheins sogenannter freikonvertierbarer Währung, noch die In-Aussicht-Stellung einer anderen begehrten Zuwendung hatte den Türsteher überzeugt, sondern ein Privileg, das an Peinlichkeit kaum zu überbieten war. Dass wir einmal zu einem begehrten Sitzplatz in einem Tanzlokal dank der Beziehungen zur uniformierten Staatsmacht kommen sollten, hatten wir uns niemals träumen lassen. Und auch sonst war es üblicherweise nicht so, dass wir unsere Abende mit einem Abschnittsbevollmächtigen und seinem Helfershelfer verbrachten.
Auch Schmidt wirkte unsicher. Tanz noch dazu, brubbelte er dem blonden Cowboy zu, das konnte doch keiner wissen.
Ich hab doch vorhin …, sagte der Cowboy.
Aber Schmidt ließ ihn nicht ausreden. Ich werde draußen warten, sagte er und wandte sich an Franklin. Also beeilen Sie sich.
Wir versuchen es, antwortete Franklin und nickte so übertrieben, dass Schmidt eigentlich wissen musste, dass er sich auf ihn nicht verlassen konnte. Schon sein Gesicht, aus dem geradezu der Schalk fiel, war die Gewähr dafür, dass Schmidt sich täuschte.
Und Schmidt schien es zu ahnen. Unsicher hob er die Uniformmütze und kratzte sich am Kopf. Doch bis zum Cowboy, von dem er Unterstützung erwarten konnte, reichte sein Hilfe suchender Blick nicht. Zu sehr schien Schmidt zwischen die Stühle geraten zu sein.
Am Ecktisch empfing uns ein großes „Reserviert“-Schild, das sonst nur Einheimischen vorbehalten war und jetzt unsere Sonderstellung als eine Art von Edelgefangenen vervollständigte.
Danke, rief Claudia dem davoneilenden Schmidt noch nach und nahm als Erste am Tisch Platz.
Unsicher, wie er mit dem Dank umgehen soll, antwortete Schmidt nicht und verließ das Lokal. Dafür blieb der Cowboy und Weltfriedensretter mit einem grimmigen Gesicht und seinem Feldstecher um den Hals zurück. Verdient haben Sie das nicht, sagte er und verschränkte die Arme wütend vor der schwarzen Lederjacke. Dann begab er sich zum Ausgang, von wo aus er stehend das Geschehen im Gastraum verfolgen konnte. Jedenfalls glaubte er dies bis zu diesem Zeitpunkt.
Am Tisch Platz genommen, beschlossen wir, uns ausgiebig Zeit zu nehmen. Was war das schon, eine Stunde oder zwei, wenn wir doch den halben Tag in Schmidts Veranda verbracht haben. Insofern sollte das Abendessen ein Ersatz für die entgangenen Strandfreuden werden. Franklin begann als Erster mit einer umfänglichen Bestellung, obgleich die Karte wenig Auswahl bot. Aber wie sonst konnten wir etwas Zeit und damit eine zweifelhafte und deutlich begrenzte Freiheit gewinnen.
Der Wirt, ein untersetzter dickbäuchiger Mann älteren Baujahrs, dessen aufgequollene rote Nase das markanteste Zeichen seines blutleeren Gesichtes war, kam selbst an den Tisch, sodass ich vermutete, Schmidt hätte mit ihm eine Absprache getroffen. Entsprechend unfreundlich war er dann auch und seine Freundlichkeit nahm nicht zu, als wir ein opulentes Mahl zusammenstellten. Aber was heißt schon opulent, auf Hiddensee war in der Saison alles jenseits einer Bockwurst mit Kartoffelsalat opulent.
Wir sind hier in der Hochsaison, blaffte uns der Wirt an, nachdem wir uns anmaßten, mindestens zwei Gänge zu bestellen. Dabei hörte sich das Wort Gänge in seinen Ohren schon dekadent an. Da können Sie zufrieden sein, wenn wir noch eine Soljanka als Vorsuppe anbieten. Salat, wo denken Sie hin, haben doch keinen Garten hinterm Haus und die Belieferung … hören Sie auf … na ja Berlin, typisch, da sind Sie ganz schön verwöhnt, am liebsten jeden Tag ein Schweinskotelett.
Was das Essen angeht sicherlich nicht, entgegnete Franklin. Schließlich bekommen auf Hiddensee selbst die Gefangenen ein warmes Abendessen und ein gutes Bier. Davon träumen die Menschen in Berlin nur.
Was für Gefangene?
Fragend schauten wir uns an. Was für Gefangene?
Na die, die sie auf der Insel festsetzen. Oder haben Sie noch nie was von Alcatraz gehört? Alcatraz von Hiddensee.
Der Wirt schüttelte den Kopf. Ich versteh nicht.
Müssen Sie auch nicht, sagte Franklin und ließ einen verwirrten Wirt zurück.
So bestellten wir, was zu bestellen möglich war. Reichlich floss das Bier, vielleicht auch, weil es die Aussicht auf einen Rausch, und damit das Vergessen versprach. Und das ohne Einfluss unseres Meisters des Vergessens. Im Übrigen gab es auch kaum eine Alternative, schon weil die Fassbrause dank der üblichen und doch jedes Jahr immer wieder überraschenden Sommersaison ausgegangen und die Selters warm war. Und gegen die sozialistische Planwirtschaft, die von allerlei kleinen und großen Lieferschwierigkeiten gequält wurde, konnte auch der beste Wirt nichts tun.