Sieben Kraniche
Roman, Mitteldeutscher Verlag, Halle 2011 (224 S., gebunden mit SchU, ISBN 978-3-89812-769-1)
Inhalt
Der Journalist, Robert Sterner, von der Redaktion zur Lokalseite seiner Zeitung abgeschoben und von seiner Frau verstoßen, beschließt als Überlebender eines verheerenden Zugunglücks, nun als Totgeglaubter sein Leben neu zu ordnen. Der Faszination eines mysteriösen Mannes erlegen, schließt er einen faustischen Pakt . die Folge ist ein seltsamer und blutiger Rachefeldzug gegen jene, die Stern für sein Leiden verantwortlich macht.
Ein fesselnder Psychokrimi an der Grenze des menschlich Vorstellbaren.
Rezensionen
»Der Roman arbeitet auf mehreren Ebenen: Er ist psychologisierende Studie eines geschlagenen und für seine – vermeintlichen oder tatsächlichen – Taten verurteilten Mannes. Er ist eine Kriminalgeschichte, die aber weder die Perspektive der Verbrechensopfer noch die der Polizei oder der Ermittler im Blick hat. Und er ist im Ansatz eine Schauergeschichte, denn der Fremde, den Robert Sterner in der Nacht nach dem Zugunglück trifft und der ihm den Wunsch nach Rache einpflanzt – dieser Mann ist nicht so recht zu fassen. Die Lektüre von Sieben Kraniche bietet eine gut verpackte Beschäftigung mit der Frage nach dem Zusammenspiel von Gut und Böse in jedem von uns.« Hamburger Lokalradio
»Ein psychologisch, ja philosophisch geprägter Krimi. Für alle, denen Menschen wichtiger sind als Einblicke in den Alltag von Ermittlern.« Leipziger Volkszeitung
„ Ich ist ein anderer“ Märkische Allgemeine Zeitung
Leseprobe
Ich hatte es geahnt, ja befürchtet und doch hoffte ich so sehr, dass er mich mit einer Frage nicht zu einer Antwort zwingen würde. Nun stand sie da, mitten im Raum, während draußen der Regen auf das Dach unserer Waldhütte trommelte: Wie soll es weitergehen?
Ich weiß nicht, antwortete ich, um Zeit zu gewinnen und starrte hinaus in die mächtigen Buchenkronen, auf denen der Regen stand.
Du weißt nicht, wiederholte Trebor. Seine Stimme wirkte verändert. Du hast es aufgegeben!
Was aufgegeben? fragte ich, als wüsste ich nicht, was er meinte.
Deine Aufgabe oder hast du das alles vergessen?
Natürlich hatte ich nichts vergessen, Maria, Elise, die Zeitungsredaktion, die Kraniche, Matthias und das Meer. Ich hatte alles nur auf angenehme Weise verdrängt und in meine Aufzeichnungen und Tagebucheintragungen, die immer ausführlicher wurden verbannt.
Warum machen wir nicht weiter? fragte Trebor und ich vernahm sehr deutlich den Ernst in seiner Stimme. Du weißt schon, einfach weiter.
Ich zuckte mit den Schultern, weil ich keine Antwort wusste.
Deine Frau, sie wartet, sagte er gelassen und betrachtete mich von der Seite.
Sie wartet, wiederholte ich leise.
Willst du auf ihre Wärme verzichten?
Nein, sagte ich, aber es ist noch nicht so weit. Ich brauche Zeit, und die Erinnerung braucht Zeit.
Trebor lachte. Du willst jetzt schon deinen Frieden mit dir, aber ich sage dir, du wirst ihn nicht haben, denn dein Friede ist nur ein Scheinfriede, den du mit dir selbst geschlossen hast. Und er ist brüchig, weil dich dein Gestern einholen wird!
Wie Recht er hatte, sollte ich in der folgenden Nacht erleben. Es war als würde jemand Salzwasser in meine alten Wunden schütten, Meerwasser. Ich lag wach und hätte schreien wollen. Denn da war er wieder, Matthias, dem ich an das Meer folgen wollte. Die Wellen umschlangen meine Füße, als wollten sie mich mit hinaus in die offene See ziehen und die Gischt spuckte mir salzig ins Gesicht. Damals hatte ich gewartet, dass er zurückkäme und wie Neptun aus den Fluten steigen möge. Umsonst, denn nur die wenigen Sachen des Freundes fand ich nach Stunden der Suche am Strand. Eine Jeans, ein helles Hemd, die ausgetretenen Turnschuh und den Rucksack, der einen Brief enthielt. Tagelang, nächtelang wartete ich an dem steinigen Strand mit diesem Brief, der keinen Zweifel aufkommen ließ. Vor mir das unendliche Meer, das meine Schreie verschluckte und dessen rauher Wind mir die Tränen im Gesicht trocknete. Hinter mir die hohen weißen Kreidefelsen Stubbenkammers, die ich schon als Kind auf dem Bild in der guten Stube von Matthias Großeltern bewundert hatte: Caspar David Friedrich. Nicht umsonst hatte Matthias ausgerechnet diesen Ort für seinen Abschied gewählt. Noch einmal wollte ich bei ihm sein, noch einmal, wenn das Meer ihn freigeben würde.
Das Meer gab Matthias frei, doch ich wartete umsonst. Die aufgequollene Leiche wurde eine Woche später fünf Kilometer westlich an den menschenleeren steinigen Nordstrand gespült.
In der Hoffnung mich von dem Bild zu lösen, ließ ich Matthias ein zweites Mal sterben. Ja, ich schrieb meine erste Erzählung, die zu lesen mir noch nach Jahren schwer fiel. So sehr bewegte mich die Geschichte. Das Leiden ist die Geburtsstunde der Kunst, so sagte ich es damals und glaubte damit auch einen Weg aus diesem Leiden gefunden zu haben. Ich beschloss Schriftsteller zu werden, einen Beruf bei dem ich wahrscheinlich verhungert wäre, wenn ich nur an zahlreiche meiner Bekannten dachte, die sich mit dem Schreiben und lächerlichen Honoraren nur mühsam über Wasser halten konnten. So landete ich schließlich als Journalist bei einer Zeitung.
Aber Matthias blieb, wenn auch in dieser verklärten, wie durch Milchglasscheiben verzerrten Form. Und er kam zurück, immer wieder zurück, wie ein biblischer Widergänger.
Jahre waren vergangen und doch war er auch in dieser Nacht wieder da. Aufgequollen und vor Wasser triefend stand er in der Tür der Waldhütte.
Kannst du nicht schlafen, fragte mich Trebor, der bemerkt haben musste, dass mich etwas quälte.
Es ist mein alter Freund Matthias, antwortete ich. Er kommt immer zurück.
Wo ist er? fragte Trebor.
Er steht in der Tür, nass und aufgequollen, sagte ich.