Schneewalzer
Roman, Gustav Kiepenheuer Verlag, Leipzig 1997
Inhalt
In der Weite der Landschaft liegt vergessen das kleine Dorf Presenchen. Eine bewegte Vergangenheit hat es hinter sich. Die Zukunft erscheint trostlos. Kohlebagger greifen unbarmherzig nach den letzten Mauerresten. Erzählt wird die Geschichte der Beckmanns, Noacks, Krügers, vom Juden Buckstein und vom Reichspostbeamten Körner, der lange im braunen Hemd herumstolziert, nach 1945 den Russen als Bürgermeister zur Hand geht. Wie Kinder geboren werden und aufwachsen, wie die Söhne in den Krieg ziehen und selten zurückkehren. Die Menschen ducken sich unter den alten, fügen sich widerwillig den neuen Herren. Und manchmal bieten sie den Mächtigen die Stirn. Wie die alte Beckmann, die ihr Gehöft gegen den anrückenden Tagebau verbarrikadiert.
Rezensionen
Das große Theatrum mundi im autoritären Staat. Der Dichter vermag es, verwehte Vergangenheit gegenwärtig zu machen. Nürnberger Nachrichten
Das in einer klaren, bisweilen ironisch getönten Sprache geschriebene Buch ist nicht nur ein Stück Heimatgeschichte, seine Episoden runden sich überdies zum Sinnbild für das deutsche Schicksal in diesem Jahrhundert. Welt am Sonntag
Apelt ist eine neue, vielversprechende Stimme aus dem Osten. Die Welt
Dem Autor gelingt es, mit seiner Sprache durch genaue Beobachtungen, poetischer Schilderungen und ironisch humoristische Brechungen zu fesseln. Braunschweiger Nachrichten
Ich hoffe, diese Roman findet viele Leser, die sich erinnern, die ihr eigenes Schicksal reindenken oder einfach über sich selbst und ihr Leben nachdenken. Lausitzer Rundschau
Apelt kann von Anfang bis zum Ende der Lektüre die Spannung halten … Neue Ruhrzeitung (dort lief der Roman als Fortsetzungsroman)
Apelt weiß Geschichte, Atmosphäre ab und Eigenart einer Gegend anschaulich zu machen. Berliner Morgenpost
Die Einheitlichkeit und Stilsicherheit mit der erzählt wird, zeigt doch, dass Sie Eignes haben. Günther de Bruyn
Sie haben eine besondere Art zu schreiben… Arno Surminski
Leseprobe
Die neue Zeit kam auch in Presenchen in ganz großen Schritten. Die größten Schritte machte Körner. Vor allem, wenn es um seinen neuen Acker ging. Bodenreform nennt man das. Junkerland in Bauernhand, ruft Körner. Und macht gleich einen doppelten Satz. Dabei schlackern seine dünnen Beinchen in den viel zu großen Gummistiefeln.
Fünfundsiebzig, sechsundsiebzig, sieben…
Und die Kriegsverbrecher und Kriegstreiber, sowie der Materna, führt er weiter aus, die sind jetzt enteignet. Die haben nichts anderes verdient. Das deutsche Volk so ins Unglück zu stürzen. Dabei vergisst er natürlich zu zählen.
Macht nichts. Materna ist tot, und sein Acker ist fruchtbar, der beste im Dorf. So schreitet Körner auf seinem neuen Acker weiter, verfolgt von einem Dutzend neugieriger Augen, die auch das Zählen vergessen. Jedenfalls das laute. Schließlich sind die Neuen später dran. Wer will sich da schon mit dem Bürgermeister anlegen.
Also Augen zu und die Zahlen verschlucken. Und außerdem, vom großen Acker oder den Wiesen ein Stück abzubekommen, wäre doch nicht schlecht. Zumal zu Hause nur hungrige Mägen knurren . Nein, auch der Friede hat Hunger.
Also aufgepasst!
Körner weist auf eine Stelle und lässt einen Pfahl einschlagen. So, bis hierher, sagt er schließlich, wischt sich mit einem Taschentuch den Schweiß von der Stirn und beginnt von vorn. Diesmal zählt er richtig. Für die Neuen.
Umsiedler, sagt er verächtlich. Neubauern noch verächtlicher. Schlesier, na bitte. Schlesien ist polnisch. Dabei fasst er sich an den Kopf, aber nur zum Kratzen. Auch die Zuschauer fassen sich an den Kopf. Allerdings nicht zum Kratzen. Aber das sieht er nicht. Glücklicherweise. Sonst hätte die Bodenreform ein jähes Ende gefunden…
(Zur Erläuterung: Den ehemaligen Reichspostbeamten und strammen Nazi Körner machten die russischen Besatzer 1945 zum Bürgermeister, da er als erster die weiße Fahne gehisst hatte).
Hintergrund
Auf dem Weg von Schlabendorf nach Fürstlich Drehna lag einst das kleine Straßendorf Presenchen. Es zählte 51 Seelen. Als ich den Ort Ende 1987 besuchte, bot sich ein Bild der Zerstörung. Nur noch die Grundmauern der vom Tagebau geschliffenen Gehöfte kündeten vom einstigen Leben. Fetzen von alten Fotos trieb der Wind durch die einzige Strasse. Und es gab ein Haus, da hatte die Sprengladung nur einen Giebel und das Dach zum Einsturz gebracht. So konnte man von außen in die Küche schauen. Auf dem alten Herd standen noch Töpfe und Tiegel. Es schien, als hätten die Bewohner keine Zeit gehabt, um ihr Anwesen rechtzeitig zu verlassen. Und dann hörte ich die Geschichte der alten Frau....
Ich zögerte nicht lange und begann noch am selben Tag mit den ersten Niederschriften. An einen Roman dachte ich nicht.
Verschwundene Dörfer und Ortsteile in unmittelbarer Umgebung von Fürstlich Drehna
Buschmühle 4 Einwohner Ortsabbruch 1974
Dubitzmühle 6 Einwohner Ortsabbruch 1972
Fürstlich Drehna 2 Einwohner Teilortsabbruch 1975
Gliechow 120 Einwohner Ortsabbruch 1978/79
Pademagk 34 Einwohner Ortsabbruch 1975/76
Presenchen 51 Einwohner Ortsabbruch 1987/88
Schlabendorf 15 Einwohner Teilortsabbruch 1988/89
Stiebsdorf 60 Einwohner Ortsabbruch 1983
Tornow 364 Einwohner Ortsabbruch 1968
Wanninchen 40 Einwohner Ortsabbruch1986
Zinnitz 10 Einwohner Teilortsabbruch 1988
Nur noch ein Stein erinnert an das Dorf.